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2007/10/30

Gefühle unter dem Hammer

Was tut man mit schmerzlichen Erinnerungen? Mit Gegenständen und Reliquien aus früheren Zeiten, die einem heute nur noch Tränen in die Augen treiben oder Zornesfalten in die Stirn kerben? Abgesehen von verbrennen, zerstückeln, kleinscheiten, drüberurinieren, verschenken, im Wald aussetzen oder drogensüchtigen Obdachlosen in die geklauten Supermarkttüten schmuggeln? Richtig - wir versteigern den ollen Krempel auf einem strak frequentierten Internet-Auktionsportal. Wegwerfartikel Nummer eins - mit der höchsten Schmerzensrate, den meisten unerfüllten Wünschen und den grössten Enttäuschungen verbunden: das Hochzeitskleid. Einst glamourös, auf den Leib geschneidert und durch die rosa Brille bestimmt hundertfach hübscher als für jeden anderen anzusehen. Jede Frau, die eins davon getragen hat, durfte einen Tag lang die Schönste sein, hat darin vor lauter Aufregung geschwitzt und sich übergeben, Wein und Champagner darüber gekippt und es zu später Stunde mit mehrstöckiger Torte bekleckert, bevor sie dann darin über die vielbesagte Schwelle getragen wurde. An Brautkleider sind Mädchenträume geknüpft und die Illusion eines Prinzen, der einem bis zum bitteren Ende auf Händen trägt. Ein Mann für den Frau jeden Tag die Schönste ist, der mit ihr tanzt auch wenn die Musik schon lange nicht mehr spielt und der trotz zerzauster Haare und Schlabberpulli jederzeit ja zu ihr sagen würde. Und dann, eines weniger schönen Tages sitzt eine Frau am Bildschirm und ringt sich die letzten guten Worte für ein Kleid ab, das einst Sinnbild für ihre Träume war. Für diesen Schritt gibt es zwei gute Gründe. Hör mal, Schatz - ich kann mich von meinem Brautkleid trennen. Nein, es ist wirklich keine grosse Sache. Der alte Fetzen verstaubt doch nur im Schrank und ich weiss doch wie dringend wir das Geld brauchen. Ja, ich liebe dich auch. Das ist die zwar nicht ganz so romantische Variante, aber sie zeugt mehr als zuvor von Hingabe und das Verwirklichen gemeinsamer Ziele. Das zweite Motiv, sein Brautkleid zur Ramsch-Auktion freizugeben, ist wesentlich finsterer. Ich habe den Scheisskerl geliebt - das hat er nun davon. Ich ergaunere mir die letzten paar Scheine, die sich aus unserem gemeinsamen Elend noch rausquetschen lassen. Und dann verpiss dich, elende schmerzliche Erinnerung - ich bin ein neuer Mensch und lasse mich nicht von alten stofffetzen knechten. Fünf Minuten später gesellt sich ein neues Angebot zu den hunderten von ausrangierten Brautkleidern ins Auktionsportal. Das Foto - wie bei allen anderen - aus dem Brautmodekatalog oder aus dem persönlichen Hochzeitsalbum. Erinnerungen an einen sonnigen Mai-Tag, geprägt von abgeschnittenen Köpfen, schwarzen Balken und lieblos wegretuschierten Gesichtern. Was bleibt ist der Preis, der sich aus Neupreis und mehr oder weniger grosser Enttäuschung ableiten lässt. Eine nüchterne Zahl als Verkaufswert seiner tiefsten und geheimsten Wünsche.