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2016/03/04

Die Terminatorin

Wenn man keine Familie und keine Bekannten hat, denen man im Notfall zur Last fallen möchte, dann sitzt man ihr irgendwann gegenüber - der blutbefleckten Schwester des Todes mit Namen Patientenverfügung. Sie ist dazu da, im Falle der plötzlichen oder schleichenden Verschlechterung meines Gesundheitszustandes zu regeln, was mit meinen bald sterbenden Überresten geschehen soll. Sie ist zwar nur ein Formular. Und dennoch fühle ich mich in ihrer Gegenwart wie eine plattgequetschte Steinzeitmücke unter dem Mikroskop. Persönliche Daten? Hab ich. Hausarzt? Da fängt’s doch schon an schwierig zu werden. Bei dem war ich seit sechs Jahren nicht mehr. Soll er wirklich darüber informiert werden, wenn mir nach einem Unfall die Därme aus dem Unterleib quellen? Sofern er dann noch lebt – ist ja nicht mehr der Jüngste. Mal die nächsten Fragen beantworten. Bei diesem einen Kreuz, das bestätigt, dass ich auf die Bevollmächtigung einer vertretungsberechtigten Person verzichte, fange ich doch leicht an zu schwitzen. Will ich wirklich, dass im Notfall nicht ein vertrauter Mensch, sondern dieses ausgefüllte Formular über meinen Gedeih oder Verderb entscheidet? Muss wohl so sein, sonst würde ich jetzt nicht hier sitzen. Dann folgt eine grosse leere Fläche, die ich mit meinen Wertvorstellungen, meinen Gedanken über Lebensqualität, das Altern in Würde und meine Einstellung zum Tod füllen soll. Was soll ich schon vom Tod halten? Was muss, das muss. Ich kann ja schlecht schreiben „bin dagegen“. Oder wie wär’s mit „lasst mich abkratzen und ich werde euch heimsuchen“? Eigentlich ganz lustig. Das liest das Schweizerische Rote Kreuz wohl eher selten. Grundsätzlich weiss ich nicht, was ich vom Siechentum und Dahinvegetieren halten soll. Aber da ich keine Verantwortung für andere Menschen trage, kann man meinen Stöpsel beizeiten ziehen. Eigentlich. Nächste Frage? Reanimation und lebenserhaltende Massnahmen. Ouuuu ja, jetzt wird’s technisch. Robocop und so. Da gibt’s quasi nur ja und nein zur Auswahl. Und viel Platz für Bemerkungen, Ausschlüsse und Einschränkungen. Was soll reanimiert oder künstlich am Leben erhalten werden – wie bei guten und wie bei schlechten Heilungschancen? Hm. Chance scheint mir in diesem Fall nicht das richtige Wort zu sein. Aber ich spalte wieder mal Haare. Und ohne die kann man ja eigentlich ganz gut leben. Unterschr...wie jetzt? Eigentlich wäre ich jetzt bereits fertig mit dem Ausfüllen? Da kommt noch ein fakultativer Anhang. Man darf sich noch aussuchen, welcher Art der Medikation man zustimmen würde. Künstliche Ernährung und Beatmung – ja oder nein, kurz oder lang. Ich könnte sogar meine Wünsche nach Seelsorge und Begleitung anbringen. Fast schon sympathisch. Man darf wählen, was im Falle einer Organspende auf Hannibal Lecters Speisekarte stehen soll. Die Pankreas, etwas von meiner Haut, einen halben Meter Dünndarm und zwei Mal Augenhornhaut. Natürlich nicht – wer bin ich denn?!? Ich darf allerdings für nach meinem Tod eine Autopsie anordnen. Erscheint mir passend, schliesslich bin ich Konsumentin der gleichnamigen TV-Serie – hauptsächlich wegen der Stimme von Dana Scully. Aber ich schweife ab. Und warum schweife ich ab? Weil ich noch nicht bereit bin. Ich bin nicht bereit, mit meiner Unterschrift zu bestätigen, dass ich die AGB des Todes gelesen habe. Ich bin nicht bereit, meinen letzten Willen in eine Datenbank zu speisen. Wenn ich nicht mehr bei Sinnen sein sollte, ist mir doch eh egal, wie lang das weisse Licht am Ende des Tunnels auf sich warten lässt. Liebe Patientenverfügung, ich werde dich morgen nicht anrufen und ich weiss nicht, ob wir uns wiedersehen werden.