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2015/10/28

Der digitale Doppelgänger

Als Mensch, der sich wie selbstverständlich online bewegt, habe ich ein digitales Spiegelbild. Es ist noch etwas verzerrt, verpixelt und ungenau. Aber es wird mit jeder meiner Aktionen im Netz klarer und detaillierter. Es trägt die gleiche Kleidergrösse wie ich, hat die gleichen Freunde, hört die gleiche Musik und wohnt an der gleichen Adresse. Es weiss, wie ich mich fühle, wen ich beobachte, was ich mir gerne kaufen würde und ob mein Kontostand dies zulässt. Und mit jedem Suchbegriff, jedem Kommentar, jeder Bestellung und jedem interessierten Klick lernt es, so zu sein wie ich. Es begleitet mich beim Besuch jeder Seite. Wenn ich mir Frisuren anschaue, dann weiss es, dass ich mein Äusseres verändern möchte. Wenn ich Wohnungsanzeigen anklicke, dann bereitet es sich aufs Umziehen vor. Wenn ich im Internet nach Krankheitssymptomen suche, dann weiss es, dass ich selbst darunter leide oder eine nahestehende Person betroffen ist. Es hat Einblick in nahezu jeden Bereich meines Lebens. Es weiss, wem ich schreibe und wem ich nie antworte. Es kennt meine Tagesform und meine Lieblingsrestaurants. Es weiss, was ich zu Weihnachten verschenke und dass ich wieder mal zu Fuss nach Hause laufe, weil ich den letzten Bus verpasst habe. Mein digitales Spiegelbild entwickelt sich und wird allmählich zum Doppelgänger. Dieser Doppelgänger rät, liegt mal falsch und mal richtig, lernt rasend schnell dazu und ist in vielerlei Hinsicht bereits klüger als ich. Er interagiert mit mir, erinnert mich an Termine und daran, dass ich noch immer keine warme Winterjacke gekauft habe. Er zeigt mir, was mir gefallen könnte welche Route mich schnell ans Ziel bringt. Er schlägt mir sogar Freunde vor und merkt sich alles, was ich mir ansehe. Einfach alles. Kaum ein Geheimnis ist vor ihm sicher und wenn ich mal nicht genau weiss, was ich eigentlich will, könnte er bereits die Antwort kennen. Ist dieser digitale Doppelgänger mein Freund, oder wird er es mal werden? Wird er mich ausspionieren und bedrängen, oder wird er mich vielleicht sogar vor etwas schützen? Wird er mich irgendwann darauf hinweisen, dass der Sitznachbar im Bus gerade eine hochgradig ansteckende Krankheit ausbrütet? Wird er mich ans Bremsen erinnern, wenn der von links kommende Fahrer in 90 Prozent aller Fälle den Rechtsvortritt missachtet? Oder möchte ich diesen Sarg in meinen Warenkorb legen und mit Kreditkarte bezahlen?