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2011/12/22

Ein Brief, sie zu knechten

Ich habe kein ordentliches System. Deshalb bin ich hin und wieder gezwungen, einzelne Dokumente in meinem chaotischen Sammelsurium zu suchen. Dabei kann es passieren, dass sich zwischen einer längst bezahlten Handyrechnung und einem alten Brillenrezept einen Brief finde, dessen Existenz mich immer wieder von neuem überrascht. Es ist jene Art von Briefen, die voll ist von Verzweiflung, Verlustängsten und gebrochenem Ego. Briefe, wie sie nur Männer schreiben, denen man etwas weggenommen hat.

Frauen schreiben Briefe aus tiefen Empfindungen. Männer schreiben erst dann Briefe, wenn sie bereit sind zuzugeben, dass sie tief empfinden. Und das ist meist zu spät. Die Rede ist von der Post-Trennungs-Schreibe. Sie ist der letzte Griff nach einem nicht vorhandenen Strohhalm, der eine Beziehung retten soll. Nach längerem Nebeneinanderherleben, bei dem Frau zum selbstverständlichen Anhängsel geworden ist, servieren die Männer nach der Trennung gerne mal ihre zusammengeklaubten Emotionen mit ein paar Tränen auf einem Silbertablett. Auf einmal ist man seine Zauberfee, sein Herz, sein Leben. Seine zweite Hälfte, ohne die er weder stehen noch gehen kann und ohne die er strauchelt, hinfällt und nie wieder aufsteht. Auch ich kann mich sorgfältig ausgesuchten wehmütigen Worten kaum verschliessen. Und dennoch haben mich solche Briefe nie zu einer Kehrtwende bewegt. Ich habe mich immer gefragt, welchen Zweck sie haben. Sollen sie etwas in mir wecken, was scheinbar nur eingeschlafen ist? Sind sie ein Versprechen – schwarz auf weiss? Sind sie ein Schmuckstück, das aus der Essenz der gemeinsamen Zeit geschmiedet wurde und das mich in hübsch verzierter Form an ihn ketten soll? Wie bereits erwähnt haben mich solche Briefe zwar bewegt, aber nie in eine andere Richtung. Diese Zeilen hätten mich erreichen sollen, als ich begann den Sinn einer Beziehung zu hinterfragen. Als ich mich nach einer kleinen Wohnung umgesehen und Möbelprospekte durchforstet habe. Danach war es immer schon zu spät. Einmal hätte ich mich fast von liebevollen Worten auf rotem Papier erweichen lassen. Sie rührten mich zu Tränen und ich war schon kurz davor, mich zu einer Umarmung hinreissen zu lassen. Und dann – ein wirklich fataler Schreibfehler im Abspann. Und Ende. Denn von einem Mann der sich wirklich für mich interessiert erwarte ich, dass er meine Wertschätzung für die Grammatik kennt. Eine Charakterschwäche meinerseits oder unerwartetes Glück – heute bin ich froh, dass mich dieser Fehler davon abgehalten hat, einen noch viel grösseren zu begehen.

Ich weiss nicht, warum ich solche Schriftstücke zwar wenig liebevoll und dennoch aufbewahre. Vielleicht, damit sie mich hin und wieder treffen wie ein Schlag auf den Hinterkopf. Damit sie mir zeigen, wie kaltherzig ich in meinem Leben schon sein konnte und dass ich meinen Weg gehe, auch wenn er manchmal Schmerz bereitet. Vielleicht aber auch, weil diese Briefe der gemeinsamen Zeit einen Sinn verleihen und für einen Abschluss stehen. Eine Beziehung die ohne einen solchen letzten Brief ihr Ende findet, kann man getrost in der Pfeife rauchen.